Donatella Di Pietrantonio: Arminuta

Spätestens seit ich die Reihe „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante und „Acht Berge“ von Paolo Gognetti gelesen habe, bin ich von dem unwiderstehlichen Klang italienischer Literatur eingenommen. Er ist rau und brüchig, doch ganz nah am wirklichen, pulsierenden Leben. Arminuta (abruzz. Dialekt: Die Zurückgenommene) ist die Geschichte eines Mädchens in den 70er Jahren Italiens, das als 13-Jährige aus der Kleinstadt, zurück zu ihrer leiblichen Familie aufs Land kommt. Zuvor war sie von entfernten Verwandten aufgezogen worden.

„Ich gehorchte ihm nicht, sondern leistete weiter Widerstand. Da schlug er mit der Faust aufs Lenkrad und stieg aus, um mich aus dem engen Fußraum vor dem Sitz zu zerren, wohin ich mich zitternd verkrochen hatte. Er schloss die Tür auf und packte mich am Arm, die Schulternaht des Kleides, das er mir gekauft hatte, riss ein paar Zentimeter auf. In seinem Griff erkannte ich den wortkargen Vater nicht wieder, mit dem ich bis zu jenem Morgen zusammengelebt hatte. Auf dem Asphalt blieben die Reifenspuren zurück, und ich. Es roch nach verbranntem Gummi. Als ich den Kopf hob, schaute im zweiten Stock jemand von meiner Zwangsfamilie aus dem Fenster.

Für Arminuta ist es ein Zusammenbruch der heilen, liebevollen Welt, das Katapultiertwerden in eine verwahrloste, gefühlsarme, Familie. Hier ist ihr jede und jeder Einzelne fremd. Sie kann nicht einordnen, was mit ihr geschieht, und warum sie verstoßen wurde. Ihre Sicherheiten sind von einem Tag auf den anderen gekappt. Sie wird überwältigt von ihren Gefühlen zwischen Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause, lodernder Wut, Hilflosigkeit und Abscheu. Erst nach und nach kann sie ihre Position zwischen den neuen Geschwistern finden und ganz leise, neben vielen Schwierigkeiten, ihren Verlust verschmerzen.

Donatella Di Pietrantonio versteht es, zurückhaltend und ganz auf Szenen konzentriert, das Italien der 70er Jahre zu beschreiben. Sie macht die Rückständigkeit und Enge der Dorffamilie genauso sichtbar, wie die unwirkliche Fassade der bürgerlichen Kleinstadtfamilie, aus der Arminuta weggegeben wurde. Denn auch hier ist längst nicht alles so, wie es scheint. Sie wirft einen sensiblen Blick in die Seele eines Noch-Kindes auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Sie lässt ihre Hauptfigur als Erwachsene rückblickend von der Suche nach Liebe, Geborgenheit und Identität erzählen. Besonders spannend hierbei ist das konfliktive Verhältnis zur alten und auch zur neuen Mutter, das Schweben zwischen Beiden, und wie es ihr am Ende gelingt, doch noch Halt zu finden und ihren Weg zu gehen.

Die wichtigsten Dinge, die wir uns im Leben erhoffen, sind Liebe und Geborgenheit. Die Menschen, die uns dabei helfen, beides zu finden, können aus unverhoffter Richtung und in jedem, unerwarteten Moment zu uns gelangen.

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