Erinnert euch an die Plätze eurer Kindheit. Erinnert euch an das Draußensein, den Geruch des Sommers und die unendliche Zeit, die vor euch lag. Erinnert euch an eure Freunde, an aufregende Abenteuer. Wann waren diese Momente vorüber? Wann war alles vorbei, wann seid ihr erwachsen geworden?
Dieser Frage geht auch die Figur Seri in Zsuzsa Bánks Roman „Die hellen Tage“ nach. Sie erzählt die Geschichte ihrer Freunde Aja und Karl – von ihrem gemeinsamen Weg von der Kindheit zum Erwachsenwerden. Sie leben in Kirchblüt, einer kleinen Stadt im Süden Deutschlands. Irgendetwas zieht die drei Kinder jeden Tag zu Evi, Ajas Mutter. Dort, in Evis Garten mit den drei großen Linden, erleben sie die hellen Tage unbekümmerter Kindheit.
„Aja lebte mit ihrer Mutter in einem Haus, das kein Haus war, nur ein Häuschen, gehalten von Brettern und Drähten, eine Hütte, an die neue Teile geschraubt wurden, wenn der Platz nicht mehr reichte, wenn es zu eng geworden war, selbst für die Schachteln und Kisten, die sie stapelte, und die Schuhkartons, die sie sammelte, für die vielen Briefe, die sie darin aufbewahrte. Wie Spinnennetze zogen sich Kabel und Klebeband durch zwei kleine Zimmer, eine winzige Küche und einen schmalen Flur, für die Lampen, die auch tags brannten, selbst wenn die Sonne schien und Licht in alle Ecken des Hauses drang.“
Doch diese hellen Tage tragen auch Schatten mit sich: Ajas Vater kommt nur einmal im Jahr zu Besuch, Seris Vater starb kurz nach ihrer Geburt und Karls Bruder verschwindet eines Tages spurlos. Die drei Familien sind zwar sehr verschieden, doch durch die Freundschaft der Kinder verbunden. Die Kinder werden beschützt von ihren Müttern, die ihnen zeigen, dass sie im Leben nichts zu fürchten brauchen. Als Aja, Seri und Karl erwachsen werden und gemeinsam die Welt erobern, wird ihre Freundschaft auf die Probe gestellt.
Zsuzsa Bánk ist ein Juwel unter allen Schreibenden. Es gelingt ihr, in zwei Sätzen eine ganze Welt zu schildern. Ihr Roman bildet einen Kosmos, ein Netz aus unglaublich vielen Welten und kleinen Dingen, die sich zu einem Großen zusammenfügen und schließlich das Leben der drei Helden ausmachen. Jede Seite enthält tausende fein beobachtete und komponierte Details, Eigenarten, Charakterzüge und Geschehnisse, die mal fantastisch, mal traurig sind und immer von einer gleichbleibenden, ruhigen Erzählstimme getragen werden.
Als ich in diese Welt eingetaucht bin, habe ich das Gefühl von Raum und Zeit verloren. Die poetischen Sätze mit ihren vielen Bildern zu erfassen, hat mich vollkommen vereinnahmt. So wurde ich beim Lesen entschleunigt und mitgenommen, in diese Welt, in der Namen erst spät oder gar nicht auftauchen. Ich verlor mich in den Text, in dem Dialoge fast gänzlich aufgehoben sind, zugunsten des Leseflusses, eines Stroms, dem man sich nicht entziehen kann, auf dem man sich durch Jahre und Jahreszeiten treiben lässt, um dem Geheimnis von Kindheit und Leben auf die Spur zu kommen.
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