Robert Seethaler: Der letzte Satz

Soll man eine Rezension damit beginnen, was das Buch nicht ist? Das könnte euch glauben lassen, es sei nicht lesenswert. Gehen wir mal davon aus, dass nur gute Bücher auf diesem Blog landen. Dann kann ich es ja sagen: Robert Seethalers neuster Roman Der letzte Satz ist KEINE Abenteuergeschichte, er ist NICHT witzig oder grotesk, auch NICHT aufregend. Die Story ist auch NICHT analysierend, sie ist WEDER energisch NOCH laut. Dieser Roman ist vor allem nachdenklich. Ein Blick von ganz Oben.

Die zentrale Frage liegt schon mit dem Titel vor: Was bewegt uns, im allerletzten Moment, bevor wir unser Leben beenden? Was ist die Erkenntnis? Was sagen wir?

An Deck eines Schiffes sitzt ein Mann in seinem 51. Lebensjahr. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet. Er schaut auf sein Leben zurück. Der Blick auf das eigene Leben ist, wenn man Robert Seethalers Bücher kennt, kein ungewöhnliches Thema. Bereits in Ein ganzes Leben begleitet er die Hauptfigur mit dem Blick auf das Ganze. In seinem neuen Roman ist es jedoch nicht der einfache Mann aus den Bergen. Es ist Gustav Mahler, der berühmte österreichische Dirigent und Starkomponist, der auf sein Dasein in der Welt zurückblickt.

Als er im Jahr 1911 seine Heimreise von New York nach Wien antritt, begibt er sich auch innerlich auf eine Heimreise. Er betrachtet das Meer, wird von einem Schiffsjungen mit Tee und warmen Decken versorgt, während seine Familie die Überfahrt unter Deck verbringt und ihn diskret seinen Gedanken überlässt. Er fiebert und hat Schmerzen in der Brust, das Ende seiner Tage ist gekommen. Dieses Fieber ist nicht nur Zeichen seiner angeborenen Schwäche, sondern auch Innbegriff für sein Leben – seinen glühenden Eifer und die Hingabe für die Musik.

Mahlers gedankliche Rückblenden bilden den eigentlichen Lesestoff des Buches. Der Erzähler führt uns durch eine Reihe zentraler Episoden, zum Teil folgen wir auch einer Art Gedankenstrom der Figur. Alles greift fließend ineinander und wird auf wesentliche Geschehnisse und Wendepunkte reduziert. Sicher ist das keine leichte Art des Schreibens, wenn man Dinge nicht sagt, weil man sie dem Leser überlässt. Seethaler beherrscht sie meisterhaft und ich als Leserin bin ihm dankbar für seine stille Zurückhaltung.

„Vier Jahre waren es seit Marias Tod, und doch kam es ihm so vor, als könnte er unter dem Stampfen der Schiffsmotoren und dem Klatschen der Wellen ihre Stimme hören. Das Husten und Röcheln ihrer letzten Atemzüge. Er schlug die Augen auf und blickte in den Himmel, in dem jetzt eine einzelne durchscheinende Federwolke stand. Sie ist alleine dort oben, dachte er. Sie wird verschwinden, ehe sie sich überhaupt zu einer richtigen Wetterwolke ausgewachsen hat. Er dachte, es wäre schön, wenn es Regen gäbe.“

Wie auf den Wellen des Meeres treiben wir mit Gustav Mahler durch sein bewegtes Leben, steuern mit ihm auf den Hafen zu, auf seinen letzten Moment. Am Ende sagt er diesen entscheidenden Satz und wir werden Zeugen einer Erkenntnis, die vor dem Hintergrund des Gelesenen auch zu unserer wird.

Für alle Freunde der Philosophie ist das Buch äußerst LESENSWERT.

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