Wir befinden uns im Deutschland der nahen Zukunft. Die Digitalisierung ist fortgeschrittener, die Politik hat sich verändert. Angela Merkel hat abgedankt und ihre Nachfolgerin, Regula Freyer, ist mit der Besorgte-Bürger-Bewegung (BBB) an der Macht. Zwei Freundinnen, Britta und Janina, sitzen im Park am Sandkasten und schlürfen grünen Tee. Brittas Tochter durchläuft standardmäßig das Silicon-Valley-Programm der Grundschule. Janinas Tochter besucht ein alternatives Musik-Colleg. Britta ist mit ihrer Firma erfolgreich, sie lebt mit ihrem Mann in einem modernen Haus in einer ruhigen Stadtsiedlung. Janina und Knut hingegen träumen vom Häuschen im Grünen. Man ist befreundet trotz unterschiedlicher Lebensmodelle. Anything goes. Nichts ist ein Problem. Auch nicht, dass die Regierung unter dem Deckmantel der Verschlankung an den Fundamenten der Demokratie nagt und dass die UNO dabei ist, sich aufzulösen.
Mit ihrem Geschäftspartner Babak Hamwi hat Britta Söldner Die Brücke gegründet, welche beiden einen behaglichen Wohlstand beschert. Was genau Die Brücke tut, ist nebelartig. Doch etwas lauert im Dunst, das spürt man sofort. Denn als in den Nachrichten über einen Terroranschlag in Leipzig berichtet wird, gerät zwar nicht Brittas Abend mit Freunden, doch Britta selbst ins Wanken. Was ist ihr Geheimnis? Und warum ist sie so in Aufruhr?
Was wie ein guter Polit-Thriller startet, bewegt sich bald nur noch zaghaft am Rande. Es fehlen die wirklich verzwickten Verflechtungen, wilden Verfolgungsjagden, echte Endzeitsituationen. Von Julietta, einer jungen Frau, die bald neue Patientin der Brücke wird, hätte ich mir noch mehr Zwielichtigkeit erhofft. Doch sie bleibt unangetastet cool. Sie steht für die neue Generation, die einem klaren Fahrplan folgt und schon in Unterleuten (2016) die Fäden zog. Andere Charaktere bleiben ungefährlich und ihre Rollen werden am Ende nicht ganz aufgelöst.
Allemal: An ihren Figuren entblättert Juli Zeh ein gesellschaftliches Dilemma. Es sind keine Zuwanderer oder Hartz IV-Empfänger, die das Problem darstellen. Britta und ihre Freunde sind gebildet, informiert und haben Ziele. Doch niemand ist wirklich von etwas überzeugt, alle konzentrieren sich auf ihren persönlichen Wohlstand. Britta liebt ihren Nihilismus. Ihr Engagement ist unpolitisch, geht nicht über den Erfolg ihrer Firma hinaus. Ihr Motto: Ein gesundes Mittelmaß – so kommt man gut durch. Denn Realitäten lassen sich nicht ändern, man kann sich nur in ihnen einrichten. Dabei unterschätzt sie, dass ihre konstanten Magenschmerzen mehr bedeuten als beruflichen Stress und dass sie jetzt, da ihre Firma ins Wanken gerät, einen klaren Standpunkt beziehen muss.
Juli Zeh schafft in ihren Büchern eine klare Atmosphäre, in der man sich selbst wiederfindet und am Ende gerade deshalb nachdenklich wird. Ja, Deutschland ist demokratisch. Aber wie lange noch? Führt uns der Wohlstand zu Trägheit, unser Selfie-Wahn zu gesellschaftlicher Apathie? Mit Leere Herzen hat Julie Zeh zwar keinen Thriller á la carte geschrieben, doch ihr Stil ist unverkennbar.
‹‹Die Demokratie. Ich habe nie BBB gewählt, nie auf Europa und die da oben geschimpft, niemals an einen Shitstorm teilgenommen. Ich habe einfach entschieden, mein eigenes Ding zu machen. Jahrelang war ich mir zu fein für das Verfolgen der Nachrichtenportale.›› Sie schüttelt den Kopf und streift sich mit beiden Händen das Haar zurück. ‹‹Leute wie ich tragen Schuld an den Zuständen, nicht die Spinner von der BBB.(…)››
ISBN: 978-3-630-87523-1
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